Urban Framing liegt heutzutage voll im Trend. Auch wenn der Begriff ‚städtische Landwirtschaft‘ ein Widerspruch in sich zu sein scheint, kann man durchaus mitten in der modernen Großstadt Lebensmittel produzieren. Früher war das sogar gang und gäbe, erst im 19. Jahrhundert verschwanden mit dem Einzug der maschinellen Hilfsmittel die Bauern komplett aus den Städten.

Auch der Begriff ‚Urban Gardening‘ ist derzeit in aller Munde. Früher nannte man dieses Phänomen schlichtweg ‚Schrebergarten‘ – heute gibt es verschiedenste Ausprägungen des städtischen Gemüseanbaus. Zum Beispiel Vertical Farming, also die Kultivierung senkrechter Flächen.

Sind Urban Gardening und Urban Farming mehr als ein Trend? Gehört der städtischen Landwirtschaft vielleicht sogar die Zukunft der Nahrungsmittelversorgung? Das sind Fragen, die eine tiefere Betrachtung wert sind.

“Was man sieht hängt davon ab, wie man die Welt betrachtet. Für die meisten ist es nur Dreck. Für einen Gärtner ist es Potential.”


Was versteht man unter Urban Farming?

Eine genaue Definition dieses Begriffs gibt es noch nicht, im weitesten Sinne beschreibt er die Produktion von Lebensmitteln im städtischen Raum.

Urban Gardening oder Urban Farming kann man eigentlich überall in der Stadt betreiben:

  • Auf flachen Hausdächern
  • Auf unbebauten Brachflächen
  • An vertikalen Hausflächen
  • Auf freien Grünflächen


Neben Gemüseanbau unter freiem Himmel gibt es auch die Variante Indoor Farming. Da wird von der Pflanzenkultur bis zur Schweinezucht Landwirtschaft aller Art innerhalb von Hochhäusern betrieben.

Vertical Farming – Lebensmittelanbau auf senkrechter Fläche

Vertical Farming ist eine Mischform aus Outdoor und Indoor Farming. Die senkrecht angeordneten Gewächshäuser nennt man ‚Farmscraper‘. Das sind Gebäude mit mehreren, übereinander liegenden Stockwerken, auf deren Ebenen Gemüse angebaut wird. Kreislaufwirtschaft in Verbindung mit Hydrokulturen oder Aeroponik gestaltet diese Art der Landwirtschaft klimaunabhängig, so kann man überall und das ganze Jahr hindurch relativ große Mengen an Lebensmitteln produzieren. Die Kreislaufwirtschaft reduziert zudem die Kohlenstoff-Emissionen und den Wasserbedarf, lange Transportwege entfallen. Befürworter loben deshalb die Nachhaltigkeit des Vertical Farming.

Die Gegner dieser Landwirtschaft kritisieren wiederum den hohen Energiebedarf der künstlichen Beleuchtung. Hinzu kommt, dass Mikroorganismen und Nährstoffe aufgrund der unnatürlichen Umgebung manuell zugegeben werden müssen. Die natürliche Bestäubung ist unter den Bedingungen des Vertical Farming schwierig, so dass der Mensch auch hier künstlich nachhelfen muss.

In Sachen Effizienz ist Vertical Farming der traditionellen Landwirtschaft weit überlegen. Die New Yorker Columbia University hat in einer Untersuchung festgestellt, dass man vertikal mit 70 bis 95 Prozent weniger Wasser und 90 Prozent weniger Land 80 Prozent mehr Ernte produzieren kann.

Die wichtigsten Stichworte zum Vertical Farming:

  • 01

    Senkrechte Flächen

    In einem Gewächshaus oder einem mehrstöckigen Gewächshauskomplex werden die Pflanzen auf mehreren Ebenen übereinander angeordnet. Diese Anordnung verspricht maximale Kapazität auf minimaler Fläche.

  • 02

    Beleuchtung

    Spezielle LED-Lampen liefern den Pflanzen das notwendige Licht. Wenn möglich wird die künstliche Beleuchtung mit natürlichem Sonnenlicht kombiniert.

  • 03

    Bepflanzung

    Im Vertical Farming wird für die Bepflanzung keine Erde verwendet. Entweder gedeihen die Pflanzen in Wasserbehältern mittels Hydrokultur oder in geschlossenen Aerosol-Behältern (Aeroponik).

Was spricht für Urban Farming?

Der ursprüngliche Gedanke hinter Urban Farming heißt Nachhaltigkeit. Ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung lebt schon heute in den Städten, Tendenz steigend. Diese Menschen müssen mit Lebensmitteln versorgt werden, die heute zumeist noch auf ländlichen Flächen produziert werden. Die traditionelle Landwirtschaft kommt dadurch bereits an ihre Grenzen. Massentierhaltung, Monokulturen, Turbosaatgut und erhöhter Einsatz von Pestiziden sowie Kunstdüngern sind nur einige negative Stichworte, die mit der Überbelastung einhergehen. Andererseits steigt das Bewusstsein für gesunde Ernährung und ökologischen Anbau. Auf der Suche nach Alternativen zur traditionellen Landwirtschaft lag da der Gedanke nahe, Lebensmittel unmittelbar vor Ort zu produzieren. Also in den Städten.

Denn in den Ballungsräumen dieser Welt müssen bereits heute über sieben Milliarden Menschen mit Nahrung versorgt werden. Wenn heute schon rund die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt, schätzt die UNO, dass es bis zum Jahr 2050 sogar schon 70 Prozent sein werden. Ohne Urban Farming wird die ländliche Lebensmittelproduktion angesichts dieser Entwicklung bald an ihre Grenzen stoßen.

Kritische Stimmen sehen diese Grenzen sogar bereits erreicht. Die moderne Landwirtschaft gefährdet demnach die Artenvielfalt. Wenn trockenen Böden mit enormen Wassermengen Lebensmittel abgetrotzt werden, steht die Ressourcenverschwendung in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag. Und bei Transporten um den gesamten Globus werden dann auch noch reichlich fossile Energien verbraucht. Für viele Kritiker der traditionellen Landwirtschaft heißt Urban Farming deshalb das Gebot der Stunde.

Schon heute wird im ländlichen Raum eine Fläche bewirtschaftet, die der Größe Südamerikas entspricht. Unter Einsatz von beinahe 70 Prozent des weltweit verfügbaren Trinkwassers. Aufgrund der intensiven Nutzung verlieren die Böden an Fruchtbarkeit, die United Nations äußern in ihrem aktuellen Weltbodenbericht die Befürchtung, dass bis zum Jahr 2050 mehr als 90 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen davon betroffen sein könnten. Das käme einem Ernteverlust von etwa 50 Prozent gleich.

Neben verbrauchernaher Produktion soll Urban Farming die Städte auch grüner und somit naturnaher gestalten. Denn durch dichte Bebauung, weiträumige Versiegelung und hohes Verkehrsaufkommen heizen sich städtische Flächen intensiv auf. Dieses durch den Klimawandel noch begünstigte Phänomen kann durch Grünflächen eingedämmt werden.

Die Argumente für Urban Farming sind also vielfältig und plausibel. Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Aber funktioniert die theoretische Idee auch tatsächlich in der Praxis? Viele erfolgreiche Beispiele beantworten diese Frage ganz eindeutig mit ‚Ja‘.

Urban Farming wird überall auf der Welt gelebt!

In vielen Städten auf der ganzen Welt wird Urban Farming heute schon erfolgreich praktiziert. Kleine und große Projekte beweisen, dass innerstädtische Lebensmittelproduktion tatsächlich gut funktionieren kann.

Kuba ist Weltmeister im Urban Farming

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zwang die Versorgungslage auf Kuba den Staat zum Handeln. Die sozialistische Regierung ordnete Urban Farming in allen Städten der Insel an. Den institutionalisierten städtischen Nahrungsmittelanbau gibt es nun also schon seit Jahrzehnten – und er hat sich durchaus bewährt. Die Gesamtfläche der urbanen Anbauflächen auf Kuba soll heute rund 50.000 Hektar betragen, auf denen jährlich rund eine Million Tonnen Gemüse geerntet wird. Die Hauptstadt Havanna versorgt sich zu 70 Prozent selbst mit städtisch angebautem Gemüse.

Die Prinzessinnengärten in der deutschen Bundeshauptstadt

Die Gemeinschaftsgärten auf einer ehemaligen Kreuzberger Brachfläche gibt es schon seit 2009. Im Jahr 2020 kam das Prinzessinnengärten-Kollektiv an einem zweiten Standort in Neukölln hinzu. Hier ist jeder dazu eingeladen, eigene Erfahrungen im gemeinschaftlichen Nutzpflanzenanbau zu sammeln

Ebenfalls in Berlin: Aquaponik

Im Stadtteil Schöneberg gibt es ein weiteres Projekt aus dem Bereich Urban Farming. Das dortige Konzept Aquaponik besteht aus einer Fischzucht und einem Gewächshaus, in dem Gemüse geerntet wird. Barsche werden in Teichen gezüchtet, das nährstoffreiche Teichwasser dient dann als Dünger für die im Gewächshaus nebenan gedeihenden Nutzpflanzen.

Vertikale Forschung in den Niederlanden

Die Universität der niederländischen Stadt s´Hertogenbosch betreibt in Kooperation mit mehreren Unternehmen ein Forschungsprojekt im Bereich Vertical Farming. In der Versuchsanlage Brightbox bauen die Wissenschaftler unter Einsatz von LED-Licht Gemüse an. Die Forscher wollen herausfinden, wie sich verschiedene Lichtkonzepte auf den Geschmack und die Qualität der Ernte auswirken. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt im Thema Kreislaufwirtschaft, deshalb steht die Anlage auch in der Stadt Venlo, die als Pionier in Sachen Cradle to Cradle gilt.

Singapur will in Sachen Urban Farming hoch hinaus

Das Projekt Sky Greens in Singapur ist eine sehr dynamische Art des städtischen Gemüseanbaus. Bis zu neun Meter hohe Turmgestelle werden mit bis zu 38 Pflanzenkästen bestückt und mittels Hydraulik wie ein Wasserrad rotiert. Auf ihrem Rotationsweg nach oben kriegen die Pflanzen Sonne ab, weiter unten wartet die Bewässerung. Eine Rotationsbewegung dauert je acht Stunden. Energie- und Wasserbedarf sind vergleichsweise niedrig, die Erntemengen zehn Mal größer als im konventionellen Anbau.

USA – Urban Farming in luftiger Höhe

Die amerikanische Kleinstadt Jackson Hole liegt auf 1.900 Metern Höhe im Bundesstaat Wyoming. Weil sich traditionelle Landwirtschaft in diesen Höhenregionen schwierig gestalten würde, haben sich die Städter eine Alternative ausgedacht. Auf drei Stockwerken betreiben die Bewohner von Jackson Hole mitten in der Stadt Gemüseanbau und nutzen dabei das natürliche Sonnenlicht. Mit ihrem Projekt ‚Vertical Harvest‘ bewirtschaften sie eine Fläche von 1.700 Quadratmetern.

Schweizer kultivieren auf dem Dach

In der Schweizer Stadt Bad Ragaz im Kanton St. Gallen betreibt ein Obst- und Gemüsegroßhändler die größte Dachfarm des Landes. Auch hier werden nach der Aquaponik-Methode Fische gezüchtet und Gemüse angebaut.

In London kommt Gemüse aus dem Bunker

Das Projekt ‚Growing Underground‘ in der britischen Hauptstadt nutzt einen ehemaligen Luftschutzbunker für das weltweit einzige unterirdische Vertical Farming-Projekt. Unter immer gleichen klimatischen Bedingungen wird hier in aufeinander gestapelten Hochbeeten Gemüse angebaut. Mit einem geschlossenen System werden gegenüber konventionellen Anbauweisen 70 Prozent an Wasser eingespart. Schon vier Stunden nach der Ernte landet das CO2-neutrale Gemüse ganz frisch im Supermarktregal.

New York – Urban Farming mit Geschichte

Der Big Apple schaut auf eine lange Geschichte des städtischen Gärtnerns zurück. Bereits in den 1970er Jahren gab es hier urbane Gemeinschaftsgärten. Im Laufe der Zeit haben sich mehr als 600 Flächen etabliert, und es werden immer mehr. Die Produkte werden in speziellen Greenmarkets direkt vor Ort verkauft. Aber New York geht mit städtischen Farmen noch weiter in der urbanen Lebensmittelproduktion. An der Battery Urban Farm sind beispielsweise hundert Schulen beteiligt, das Unternehmen Gotham Greens betreibt drei Dachfarmen mit insgesamt rund 10.000 Quadratmetern Fläche.

Fazit – Kann Urban Farming die traditionelle Landwirtschaft auf Dauer ersetzen?

Das kann Urban Farming in absehbarer Zeit nicht leisten – und muss es auch gar nicht. Das Ziel sollte viel mehr eine sinnvolle Umgestaltung der Nahrungsmittelproduktion sein, die Nachteile auffängt und Vorteile aller möglichen Anbaumethoden optimal ausnutzt. Mit einer austarierten Kombination aus ländlicher und städtischer Produktion. In Europa können wir uns von den asiatischen Pionieren in Sachen Urban Farming dafür bereits viel abgucken. In Japan gibt es beispielsweise schon viele Erfahrungen mit kommerziellen Indoor-Farmen. Davon können wir bei neuen Projekten profitieren, weil wir schon vorab wissen, wo und wie wirtschaftliche Erfolge möglich sind. Auch die USA können den Europäern hier als Vorbild dienen. Der traditionelle, ländliche Bauer hat nicht ausgedient und der urbane Farmer wird ihn nicht ersetzen können. Gemeinsam könnten beide es aber schaffen, die Landwirtschaft zu revolutionieren.